Der Connaisseur wusste gar nicht, wie resolut die kleine Köchin, mit der er schon über ein Jahrzehnt zusammenarbeitet, sein kann. Bestimmend stemmte sie ihre Hände in den Hüften und sagte mit schneidendem Ton: „Weißt du nicht, wie diese Kolumne heißt?“
Das war jetzt keine Anspielung mehr auf die Alleingänge des Connaisseurs in den Kornaten und der Südsteiermark, sondern eine klare Aufforderung. Und Der Connaisseur weiß, dafür kennt er sie schon lange genug, dass Die Cuisinière das nicht im Spaß gesagt hat. Außerdem hatte er ohnehin schon ein schlechtes Gewissen ob seiner Solos, zumal ein weiteres internationales anstünde.
Umso schneller und höchst harmonisch einigten sie sich daher auf das nächste Ziel für ihre feine, kleine, bereits „kultige Kolumne“ (Wenn das der Chefredakteur in seinem bereits kultigen Kopfnüsse-Newsletter – den zu abonnieren C&C ausdrücklich empfehlen, schreibt, muss es zweifelsfrei stimmen!).
Diesmal soll es ein Landgasthaus erster Güte sein, am Rande des Wiener Speckgürtels gelegen, ein Familienbetrieb. Davon gibt es natürlich mehrere in Rufweite der Bundeshauptstadt, aber das „Landgasthaus Böhm“ ist ein Klassiker. Ein Wirtshaus mit alter Schank und Linoleum-Boden, urig, echt und authentisch. Mit einer Karte, die eine bemerkenswerte Mischung aus raffinierten Kreationen und Wirtshaus-Klassikern bietet. Beides, wie es sich gehört, auf hohem Niveau. „Also bestens geeignet für Familien, wo die Mitglieder in verschiedene Richtungen ausschlagen“, konstatiert Die Cuisinière und ergänzt: „Nicht umsonst mit zwei Hauben ausgezeichnet.“
Nach längerem Nachdenken versteht auch Der Connaisseur, was sie mit „Ausschlagen“ gemeint hat …
Die Lage ist tatsächlich etwas für jene Gourmets und Gourmands, die gezielt das Gute suchen. Von der Wiener Westausfahrt und Gablitz über die fünf Kehren des Riederbergs Richtung Tulln nach Weinzierl, quasi am Ende der Zivilisation, viel weiter geht es nicht mehr in dieser Sackgasse. „Kapelle und Pferdekoppel direkt vor der Türe – eine echte Idylle“, juchzt Die Cuisinière. „Da stolpert niemand einfach herein“, bringt Der Connaisseur die Lage auf den Punkt.
Einem Fan der Lokalen Kritik der ersten Stunde erfüllten Die Cuisinière und Der Connaisseur seinen sehnlichsten Wunsch. Er wolle einmal, dem Motto „Testen mit den Besten“ folgend, adabei sein. Schlussendlich wurde er als erster Hilfs-Gourmand der Neigungsgruppe Mit-Esser eingeladen. Der Einfachheit halber nennen wir den schon retirierten Top-Manager im Finanzwesen Gustav. Nicht dass er eine Rolle spielen wird, aber erwähnt soll er sein.
„Viele Jahrzehnte schon gibt es dieses Landgasthaus, früher hatte es den Beinamen ‚Zum goldenen Hufeisen'“, erinnert sich Der Connaisseur an seine ersten Besuche vor geraumer Zeit. Seit dem vorigen Jahrtausend ist es im Besitz der Familie Böhm – Ur-Gastronomen, wie sie im Buche stehen. Mittlerweile drei Generationen, alle im Wirtshaus-Geschäft.
Chef de Cuisine und überhaupt Chef Michael hat damals, als Hans, der Senior-Chef – und das schwere Herz merkt man ihm gelegentlich noch immer an –, übergeben hat, eine neue Dimension hineingebracht und die Verbindung vom Klassischen mit Innereien und einem interessanten Twist moderner Kreationen zustande gebracht und das Wirtshaus in neue Höhen gekocht. Seine Frau Maria und die drei Söhne helfen fleißig mit. Der älteste bekommt seinen Schliff gerade bei den Brüdern Obauer. „Eine gute Schule“, betont Die Cuisinière. „Um die Zukunft des Landgasthauses wird einem da nicht bang“, ergänzt Der Connaisseur.
Schon die erste Runde, confierte Lachsforelle mit Rahmgurke und Paprika (16 Euro), das weiße Paradeiser-Mousse mit Black Tiger-Garnelen und die Safran-Chili-Fisch-Suppe, ebenfalls mit Garnele (11 Euro), kommen blendend an. „Alles auf den Punkt, fein zubereitet mit Esprit“, befindet Der Connaisseur. Der Hilfs-Gourmand schließt sich, wie zu erwarten war, an – er will vermutlich nicht auffallen!
Aber vielleicht hat auch wer, der drei Wochen ins Rioja (womit überwiegend nicht die Landschaft gemeint ist), fährt, ein bisschen eine Ahnung …
Die Cuisinière hat wenig einzuwenden, außer, dass beim Paradeiser-Mousse wenig Saison, dafür eine Spur zu viel Schlagobers geflossen ist.
Wie es sich für eine ordentliche Wirtshaus-Küche gehört, beschäftigt sich der Böhm auch mit Innereien“, was Die Cuisinière besonders freut. Bei der Auswahl der weiteren Speisen meint Der Connaisseur prosaisch: „Zunge kommt vor Niere“, und „der Bauch?“. „Liegt dazwischen“, gibt sich Die Cuisinière anatomisch versiert.
Also, die Kalbszunge mit Wurzelgemüse (16 Euro) ist wunderbar zart, die gebratenen Kalbsnieren-Scheiben haben besonders viel Fett. Der Connaisseur hat damit sein Problem, aber Die Cuisinière und der Hilfs-Gourmand verkosten das heldenhaft, meint zumindest Der Connaisseur. Die Cuisinière lobt das viele Fett, weil es sogar teils knusprig gewesen sei.
Gustav – wir erinnern uns, der Hilfs-Gourmand – hatte dagegen wie beim Sezier-Kurs herum-„gefitzelt“. Da konnte Die Cuisinière nicht zuschauen und wies ihn an, genau das zu kosten. Am Anfang zögerte er etwas, aber, wie schon eingangs erwähnt, der Schärfe ihres Tones konnte man sich schwer entziehen und so kostete er … bis der Teller leer war.
Nun war er nicht mehr der Jüngste, aber gestand: „Seit Jahrzehnten mag ich Kalbsnieren, aber das erste Mal weiß ich, was es wirklich bedeutet!“, spendete er Lob und bestätigte den Titel dieser Exkursion „Testen mit den Besten“. Besonders gut fand der Fett-hysterische Connaisseur das zu den Kalbsnieren gereichte Eierschwammerl-Risotto. Ihre Anspielung, dass es wohl einen guten Grund für diese Hysterie bei ihm gibt, ignorierte er geflissentlich, denn seine Waage kann sprechen.
Der gebackene Reh-Bauch mit Kürbiskren (14 Euro) gab den Laien Rätsel auf. Wie kann man einen Reh-Bauch in so eine formschöne, geometrische Figur bringen? Das war ein weiterer großer Moment für Die Cuisinière. Sie erläuterte ausführlich, dass dieses Stück Fleisch geschmort, dann gezupft – der Einwurf des Hilfs-Gourmands, in der Hoffnung aufzusteigen, lautete: „Wie Pulled Pork?“ – dann gepresst und dann herausgebacken werde. „Beeindruckend“, mumelte Gustav. Da musste auch Der Connaisseur seine Kompetenz unter Beweis stellen und warf mehr feststellend denn fragend „wie beim Ochsenschwanz“ ein. Was Die Cuisinière mit einem angedeuteten Nicken bestätigte.
Einmal mehr Kürbis gab es mit dem gebratenen Beiried und den köstlichen Brandteig-Nockerln. „Gerade bei den sogenannten Zuspeisen merkt man oft die Originalität und die Qualität“, dozierte Der Connaisseur. Gustav wollte zustimmen und einen anderen Begriff noch erwähnen. Er begann mit „Sättigungs …“! Was zu einem Unisono-Schrei der beiden lukullischen Geister und fast zu einem sofortigen Ausschluss führte. „Dieses Unwort kommt bei uns nicht am Tisch!“, riefen sie aus und Gustav schaute betreten zu Boden. Diese Unterwerfungsgeste schätzend, bekam er noch ein Glas Grauburgunder von Krispl (die Flasche um 36 Euro).
Apropos Inventar: neben den drei Generationen Böhm gehört zum Landgasthaus Oberkellner Norbert, obwohl noch nicht so alt, schon seit Jahrzehnten mit Schmäh und Charme unterwegs – natürlich Sommelier-Ausbildung und Kenner der Materie. Was auch zu einem Kracher Pinot Gris (35 Euro) führte, denn – wie alle befanden – die Grauburgunder passen blendend zum Menü.
Zurück zum Fleisch. Neben dem Beiried wurde noch das Rinderfilet mit einem hervorragenden Kartoffelrisotto, Rotweinzwiebel und Trüffelschaum (sehr schaumig glatt) um 38 Euro verkostet. Auf den Punkt gebracht: gut gebraten, blendend! Und für ein Wirtshaus nicht billig.
Das Rind führte erneut zu einer Fachdiskussion zwischen Cuisinière und Connaisseur. Sorry, liebe AMA-Leute: „Die österreichischen, von der Milchwirtschaft gekennzeichneten Rinder sind leider nicht mit den US- oder Uruguay-Rassen zu vergleichen. Die Fütterung ist eine andere; und wir wollen jetzt nicht vom Kobe-Beef sprechen!“, sagte Der Connaisseur. „Nein, so abgehoben sind wir nicht“, lachte Die Cuisinière, „aber man schmeckt es einfach.“
Die Cuisinière, die ja gerne auf Süßes verzichtet („… weil du es selbst bist“, versuchte der Hilfs-Gourmand den vorigen Fauxpas wieder wettzumachen), konnte nicht anders. Denn Senior-Chef Hans ist für seine Strudel berühmt und macht sie noch mehrfach wöchentlich selbst. Von besonderer Güte ist der Topfenstrudel um ( 6,50 Euro ) zu erwähnen. Und der Test hat sich ausgezahlt! „Fluffy, saftig, großartig!“, rief sie aus, was Hans ins Glück versetzte. Ihre Abneigung für Topfenstrudel komme daher, erläuterte sie später, weil er einem gelegentlich „im wahrsten Sinne des Wortes im Hals stecken bleibt“.
Und als auch noch der ebenfalls hervorragende Apfelstrudel oder die Grieß-Flammerie (Obers spielt eine bedeutende Rolle in der Böhm’schen Küche) verdrückt waren, kam Michael mit einer Fleischkiste voller Parasol‘ – frisch von seinem Hofsammler geliefert. Wie ein Blitz schlug es ein. Michael erkannte die Situation: „Soll ich euch noch welche machen?“, fragte er…
Grundsätzlich sollten Parasol immer ein Platzerl haben, aber selbst ausgewachsene Gulos würden nach der Menüfolge nicht einmal mehr „Papp“ sagen können!
Die gebackenen Parasol, eine Spezialität, die es ganz selten gibt, waren dann wenige Tage später der Hauptgang beim nächsten Böhm-Besuch! „Gewusst wann und wo“, versuchte sich Der Connaisseur im letzten Wort.
Aber auch das ist eine andere Sache…