„Chic und Bobo war gestern! Wo ist das Alte, das Ehrliche“, sinniert Der Connaisseur – altersadäquat. Die Cuisinière hat dem Connaisseur das Déjà-vu aus seiner Studienzeit angesehen: „Ein halbes Jahrhundert her?“, ätzt sie.
Ein Mann in seinem Alter kann sich schon der Hypakusis schmücken. Und er nutzt diese Zuschreibung, sagt daher nichts (siehe „friedenserhaltende Tugenden“ hier) und erinnert sich an das „Fischrestaurant Ragusa“ in der Berggasse nahe der Wiener Hauptuni! Sich allerdings – altersadäquat – nicht entsinnen könnend, ob es damals schon so geheißen hat.
Gegen einen kulinarischen Kurzurlaub an der Adria wird auch Die Cuisinière, eine große – früher hätte man gesagt Jugoslawien-Urlaubs-Freundin – nichts haben. Nicht einmal die Fotos von Gerichten neben der Speisekarte am Eingang – eigentlich ein Grund, am Absatz kehrt zu machen – konnten ihn in seiner Sentimentalität abhalten.
Beim Eintreten vermeint sich Der Connaisseur zu entsinnen, dass das Lokal damals in seinem zweiten Semester Volkswirtschaft – natürlich nicht 50 Jahre her! -, wo sich ein Professor Van der Bellen redlich bemühte, volkswirtschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln, schon so ausgeschaut haben muss. Oft hat ihn damals die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des besseren Verständnisses wegen zum Debit in die Berggasse getrieben. Hat zumindest der Name dieser autochthonen Rebsorte doch etwas mit Wirtschaft zu tun, erkennt Die Cuisinière, selbst EPU, sofort. Schein hat’s dafür leider keinen gegeben, man war ihn eher los … oder mehrere, im besseren Fall, je nach Gebinde. Das Guthaben war dann woanders.
Was wohl der seinerzeit nebenan residierende Sigmund Freud zu dieser Zeitmaschine gesagt hätte, fragt der ehemalige VWL-Student? Vielleicht „Zurück in die Zukunft?“, kontert sie und regt an, VdB um nachträgliche Approbation zu ersuchen – „im Gnadenweg vielleicht“.
Es gibt sie also noch, die Lokale mit Charakter, mit vielen Spuren vieler Leute. Die Wände könnten Bände schreiben. Die Bilder sagen noch mehr als die ungeschriebenen Bände. Man weiß, wo es is(s)t. Die Frage: Wien oder Ragusa oder Dubrovnik stellt sich gar nicht.
Am frühen Abend herrscht schon gute Stimmung, Lockerheit und Spaß – da kann es auch etwas lauter werden. Aber, das Schöne ist, die Tische wählen nicht so aneinander, womit nur die positive Grundstimmung und das eigene Gespräch bleiben. Offensichtlich wird das Ragusa auch gerne von größeren Gruppen besucht, daher ist eine Reservierung auf jeden Fall angesagt.
Am Tisch als Gedeck (3,50 Euro) Brot und ein geschmacklich hervorragendstes Olivenöl. Dazu ein überaus freundlicher Service der dalmatinischen Betreiber-Familie Kozul.
Als der grüßende Thunfisch-Aufstrich kommt, ruft Der Connaisseur entzückt: „Im Kontinuum liegt die Kraft!“ Einzeln und nicht auf der Vorspeisenplatte kosten diese Hors d’oeuvres alle um die 18 Euro.
Das „Risotto nach istrianischer Art“ (17,90 Euro) echt frisch gemacht, so heiß war es, dass sich Die Cuisinière fast die Zunge verbrannt hätte – „was sonst nie vorkommt!“, versuchte sich Der Connaisseur in Revanche. Die ins Leere läuft – siehe Tugenden…
So wie zwischen Istrien und Ragusa rund 700 Straßenkilometer liegen, scheint auch das italienische vom istrianischen Risotto entfernt. Die Cuisinière versucht eine Erklärung: „Offensichtlich unterscheidet sich das istrianische Dubrovnik-Risotto vom italienischen nicht nur durch den Biss …?!“ Anfangs hat sie eine Sämigkeit verspürt, die allerdings mit der Zeit „nachließ und absackte“.
Ähnlich dem „Geräucherte Thunfisch-Carpaccio“, dem es allerdings gleich am Geschmack mangelte, keinesfalls aber an der Dicke der Tranchen. Gerne und schnell wird ein Carpaccio auf die Speisekarte geschrieben, was dem ähneln soll – nach dem Motto: Klinget gut und verkauft sich leicht. „Carpaccio ist meist ein g’mahde Wies’n auf der Karte“, weiß Die Cuisinière . „Im Klartext“, macht sich Der Connaisseur wichtig, „ Carpaccio gehört hauchdünn geschnitten und roh mariniert/serviert, im ganz klassischen Sinn vom Rind!“
Der Branzino (28,90 Euro) war ehrlich und frisch, was man auch daran erkennt, dass „nicht ein Achtel Intensiv-Knoblauchpasten-Öl“ darüber geleert wurde. Was dem Vernehmen nach verwendet worden sein soll, um „die ungesunde chemische Reaktion langer Reisewege übertünchen“ zu können, weiß Die Cuisinière aus grauer Vorzeit – und natürlich nur vom Hörensagen!
Das zum Fisch servierte, sehr „getrüffelte Kartoffelpüree“ war schwarz gesprenkelt – gottlob Trüffelstücke. „Sicher Périgord “, schwärmt Der Connaisseur augenzwinkernd. Der viel realistischere Kochlöffel desillusioniert mit der Frage nach dem Preis dieses Gerichts. Aber zum Glück sind wir ja im Ragusa und wir echte Foodies haben in Motovun und Umgebung ohnehin schon alles rauf und runter mit dem komischen Pilz gegessen, was es an Trüffeln in Istrien so gibt. Außerdem, Zigante hat alles, und das zu jeder Jahreszeit.
Die Frage nach der Herkunft der Seezunge (32,90 Euro) sorgte dagegen bei der Familie Kozul für Verwirrung. Beim Sohn kam sie aus der Adria bei Dubrovnik, beim Vater aus Istrien. Der Connaisseur hatte vor allem die Normandie oder zumindest den kühleren Atlantik in Erinnerung. Die Cuisinière detto, erinnerte sich allerdings – und ihn – daran, dass Solea solea wohl auch im Mittelmeer schwämme.
Perfekt bietet sich das „Ragusa“ für Menschen an, die gerne gemischte Platten, von der Vorspeise bis zum Dessert, teilen. An Weinen gibt es eine solide Auswahl kroatischer Klassiker, wie Zlahtina, Malvazija, Grasevina, einiges von Krauthaker, einer der bekanntesten Winzer der Region, zu Flaschenpreisen ab 35 Euro, das Achtel um die sechs Euro. Und natürlich die entsprechenden, am Balkan heimischen Schnäpse quer durch den Obstgarten.